Wie der Pflegeprozess wiederbelebt werden kann
"Jennifer schaut den Klienten vom Kopf bis zu den Zehenzwischenräumen genau an und findet immer eine geeignete Pflegediagnose".
So in etwa beschrieb mich eine Mitarbeitende bei einem Jahresessen vor einigen Jahren. Ich fand es mässig lustig und doch brenne ich auch heute noch für den Pflegeprozess.
Doch was ist der Pflegeprozess und weshalb leben wir ihn in der Pflege oder eben auch nicht?
An sich ist der Pflegeprozess nichts neues, auch wenn heute noch viele damit hadern.
Nach dem zweiten Weltkrieg kamen amerikanische Pflegefachpersonen mit mehr Kompetenzen aus dem Krieg zurück und waren danach Druck von ärztlicher Seite konfrontiert, welche dies nicht akzeptieren wollten. Daraus entstand der Wunsch ihre Stellung und Aufgaben neu zu definieren und sich von anderen Berufsgruppen abzugrenzen.
So entstand in den 50er Jahre in den USA der Pflegeprozess. In der Fachliteratur erschien der Begriff Pflegediagnose das erste mal 1953. 20 Jahre später entstand NANDA (North American Nursing Diagnosis Association).
Auch in der Schweiz wurde vor über 40 Jahren der Pflegeprozess eingeführt und doch wird er zum Teil sehr stiefmütterlich behandelt.
Woran liegt das?
Häufige Beschwerden von Pflegefachpersonen, welche ich höre sind folgende:

Diese sind zum Teil berechtigt, wenn man sich jedoch einmal damit wirklich mit dem Pflegeprozess auseinandersetzt und den Sinn dahinter versteht, dann ist das wie beim Fahrrad fahren. Man benötigt ein wenig Übung bis das Rad sich dreht, man das Gleichgewicht hat und so nicht mehr sturzgefährdet ist. Wenn man es einmal gelernt hat, kann man es.
Wirksame Pflegediagnosen werden im Handumdrehen formuliert, evaluiert bezahlt.
Warum NANDA und nicht eine andere Klassifikation?
Pflegediagnosen wurden und werden heute immer noch teilweise selber benannt und dokumentiert. Also nicht mittels einer Klassifikation. Diese lauten dann beispielsweise:

Na kommt dir das bekannt vor?
Ist diese Pflegediagnose zielführend? Oder wie die Krankenversicherung sagen würde: Wirksam, Zweckmässig und Wirtschaftlich?
Leider kann man aus den wenigen Details sich nur ein schwammiges Bild der Situation vorstellen. Das Ziel und die Intervention beziehen sich auf die Pflegemitarbeitenden und nicht auf den Patienten. Daher lohnt es sich ein geeignetes Klassifikationssystem zur Unterstützung einzubeziehen. Je nach System gibt es Hilfestellung von der Diagnose bis zur Intervention.
Neben NANDA gibt es noch weitere Klassifikationssysteme (POP, ICNP, ENP und weitere)
NANDA-I ist jedoch die international das am häufigsten angewendete Klassifikationssystem. Sie ist wissenschaftlich fundiert, bietet wirksame valide Massnahmen und überprüfbare Patientenergebnisse. Dies führt dazu, dass bei korrekter Pflegedokumentation die Krankenversicherer auch einen aussergewöhnlichen Pflegebedarf nachvollziehen können und die Kosten übernehmen (BG-Urteil, 2005).
Die German Language Network Group (GLNG) (bestehend aus Pflegewissenschaftler*innen im DACH Bereich) sowie der Verein für Pflegewissenschaft und die Schweiz Schweiz empfehlen ganz klar NANDA-I.
Die anderen Klassifikationssysteme sind teilweise wenig evidenzbasiert unter Plagiatsverdacht oder nicht im DACH Bereich und in den Dokumentationssystemen implementiert.
So könnte dieselbe Pflegediagnose wie vorhin beschrieben aussehen, wenn sie mittels NANDA-I formuliert wird.

Hierzu empfehle ich das Buch Pflegediagnosen und Pflegemassnahmen von Doenges et al., welches neben den Einflussfaktoren und Symptomen auch evidenzbasierte Ziele und Interventionen vorschlägt. Die 7. Auflage erscheint übrigens im Juni 2023.
Möchtest du in deinem Betrieb den Pflegeprozess wiederbeleben und Rückweisungen von Krankenversicherungen drastisch reduzieren?
Gerne berate ich dich zu einer Projekteinführung oder Schulung im Bereich des Pflegeprozesses in deinem Betrieb.
Literatur
Brobst, R. A. (2007) Der Pflegeprozess in der Praxis. 2. Aufl. Bern: Hogrefe
Doenges, M.E., Moorhouse, M.F. & Murr, A. (2018) Pflegediagnosen und Pflegemassnahmen. 6. Aufl. Bern: Hogrefe
Müller-Staub, M. Needham, I., Odenbreit, M., Lavin, M.A. & van Achterberg, T. (2009). Eine Studie zur Einführung von NANDA-I Pflegediagnosen, Pflegeinterventionen und pflegesensiblen Patientenergebnissen. Heruntergeladen von https://www.researchgate.net/profile/Maria-Mueller-Staub/publication/313622021_Eine_Studie_zur_Einfuhrung_von_NANDA-I_Pflegediagnosen_Pflege-_interventionen_und_pflege-_sensiblen_Patientenergebnissen/links/58a04ee2aca272046aad354c/Eine-Studie-zur-Einfuehrung-von-NANDA-I-Pflegediagnosen-Pflege-interventionen-und-pflege-sensiblen-Patientenergebnissen.pdf am 27.7.2022
Trambale-Faltus, A. (2001) Pflegediagnosen - sinnvolle Ergänzung des Pflegeprozesses oder Etikettierung des Patienten? Heruntergeladen von https://www.grin.com/document/101620 am 27.7.2022
Willi, C. (n. D.) Pflegediagnosen: es ist erwiesen, dass... Heruntergeladen von https://www.pflege-pbs.ch/wp-content/uploads/2016/11/es-ist-erwiesen-Kopie.pdf am 27.7.2022
XUND Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz. (2019). Elektronische Pflegedokumentation für Gesundheitsorganisationen. Heruntergeladen von https://xund.ch/newsroom/aktuelles/news-detail/elektronische-pflegedokumentation-fuer-gesundheitsorganisationen/ am 27.7.2022
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