Der Begriff „Missed Nursing Care“ beschreibt Pflegeleistungen, die nicht oder nur unzureichend erbracht werden, obwohl sie notwendig wären.
In der Spitex, wo jährlich die Nachfrage steigt, jedoch der Fachkräftemangel dies nicht aufheben kann, wird dieses Problem zunehmend sichtbar. Welche Auswirkungen hat Missed Nursing Care, und wie können Organisationen dagegensteuern?

Was ist Missed Nursing Care?
Missed Nursing Care tritt auf, wenn Pflegende gezwungen sind, aus Zeit- oder Ressourcenmangel Prioritäten zu setzen, wodurch notwendige Leistungen weggelassen, verschoben oder verspätet erbracht werden. Missed Nursing Care ist auch bekannt unter dem Begriff Rationierung (Ball, Murrells, Rafferty, Morrow & Griffiths, 2014; Recio-Saucedo et al., 2018). Im Spitexkontext gibt es zum Vorkommen von Missed Nursing Care wenig bis keine Studien (Zúñiga & Frei, 2020). Studien zu Rationierung umfassen mehr den stationären oder Langzeitbereich.
In der Praxis werden solche Situationen jedoch immer häufiger beobachtet. Beispielsweise aufgrund Krankheitsausfällen von Mitarbeitenden müssen Einsätze gekürzt oder abgesagt werden. Die verbleibenden Mitarbeitenden müssen gewillt sein Überstunden zu leisten, damit alle Klient:innen versorgt werden können. Weiter werden beispielsweise Bedarfsabklärungen auf ein Minimum reduziert, weil die nächste gleich wieder geplant ist.
Eine Unterversorgung droht.
Auswirkungen von Missed Nursing Care
Im stationären Setting zeigten sich bei Rationierung von Pflegeleistungen vermehrte Medikationsfehler, nosokomiale Infektionen, Dekubitus, Stürze, verlängerte Krankenhausaufenthalte und eine erhöhte Sterblichkeit (Recio-Saucedoet al., 2018; Aiken et al., 2014; Schubert et al., 2008).
Fallführende in der Spitex gaben an, dass die die Zeit für das Einleiten, Evaluieren und Dokumentieren des Pflegeprozesses fehlt (Zuniga & Frei, 2020). Weiter zeigte sich, dass dies nicht nur die Gesundheit und Sicherheit der Klient:innen gefährdet, sondern auch die Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Verweildauer der Pflegenden im Betrieb negativ beeinflusst (Papastavrou, Andreou & Efstathiou, 2013; Scott et al.,2019). Der Moralischer Stress erhöht sich bei den Mitarbeitenden, wenn sie sich alleine gelassen fühlen, entscheiden zu müssen, wo rationiert wird (Scott et al., 2019).
Einführungen werden unzulänglich oder auch unstrukturiert aufgrund Ressourcenmängel durchgeführt. Die Rationierung kann zudem dazu führen, dass pflegerische Aufgaben auf Pflegende Angehörige übertragen werden, welche dadurch zusätzlich belastet werden (Luginbühl, 2023).
Zukunfstperspektive
Diese Problematik wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Spitexorganisationen sollten sich heute bereits damit auseinandersetzen, wie sie die Pflege Zuhause unter guter Qualität künftig gewährleisten können. Welche Leistungen sind Bedarf und welche sind Bedürfnis. Welche Qualität wollen wir erbringen?
Wer erhält welche Leitung bei beschränkten Ressourcen? Welche Einsätze werden in der Not abgesagt?
Dies sollte betrieblich festgehalten werden, sodass nicht die einzelnen Mitarbeitenden diese Entscheidung fällen müssen. Weiter können Interventionen wie ein Ampelsystem und die Nutzung eines Entscheidungsalgorithmus hilfreich sein (Stemmer & Schubert, 2019).
Zudem ist ein Zusammenspannen mit anderen Organisationen wichtig, sodass die Spitex sich auf die Kernaufgaben fokussieren kann.
Schlussfolgerung
Missing Care ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance, das Gesundheitswesen neu zu denken. Es erfordert Mut, offen über die Qualität der Pflege zu sprechen, die aktuell und zukünftig leistbar ist. Es benötigt klare Vorgaben, um diesem Negativtrend entgegenzuwirken.
Quellen
Aiken, L. H., Sloane, D. M., Bruyneel, L., Van den Heede, K., Griffiths, P., Busse, R., ... & Sermeus, W. (2014). Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. The Lancet, 383(9931), 1824-1830.
Ball, J. E., Murrells, T., Rafferty, A. M., Morrow, E. & Griffiths, P. (2014). “Care left undone” during nursing shifts: Associations with workload and perceived quality of care. BMJ Quality &
Safety, 23 (2), 116 – 125.
Luginbühl, E. (2023). Wir müssen über Qualität reden –
ein Beitrag zur Diskussion. Pflegerecht – Pflege in Politik, Wissenschaft und Ökonomie 4|2023
Papastavrou, E., Andreou, P., Tsangari, H., Schubert, M. & De Geest, S. (2013). Rationing of nursing care within professional environmental constraints: A correlational study. Clinical Nursing Research, 23 (3), 314 – 335.
Recio-Saucedo, A., Dall'Ora, C., Maruotti, A., Ball, J., Briggs, J., Meredith, P. et al. (2018). What impact does nursing care left undone have on patient outcomes? Review of the literature. Journal of Clinical Nursing, 27 (11 – 12), 2248 – 2259.
Schubert, M., Glass, T. R., Clarke, S. P., Aiken, L. H., Schaffert-
Witvliet, B., Sloane, D. M. et al. (2008). Rationing of nursing care
and its relationship to patient outcomes: The Swiss extension
of the International Hospital Outcomes Study. International
Journal for Quality in Health Care, 20 (4), 227 – 237.
Scott, P. A., Harvey, C., Felzmann, H., Suhonen, R., Habermann, M., Halvorsen, K. et al. (2019). Resource allocation and rationing in nursing care: A discussion paper. Nursing Ethics, 26 (5), 1528 – 1539.
Stemmer, R. & Schubert, M. (2019). Rationierte und unterlassene Pflege im Kontext von Patienten/Bewohnersicherheit - Konzept, Einflussmöglichkeiten und Bedeutung für die Personalausstattung. Pflege & Gesellschaft 4/2019.
Zúñiga, F. & Frei, I. (2020). Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Perspektivevon fallverantwortlichen Pflegefachpersonen zur Rationierung in der spitalexternen Pflege. Pflege (2021), 34 (1), 23–30
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