Pflegende Angehörige leisten einen unverzichtbaren Teil der Pflege. In der Schweiz gibt es rund 600'000 Pflegende Angehörige.
Ohne sie, würde das Gesundheitssystem zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
Insgesamt 64 Millionen Stunden häuslicher Pflege und Betreuung werden durch Angehörige jährlich geleistet. Multipliziert mit den durchschnittlichen Arbeitskosten von 55.63 CHF pro Stunde entspricht dies einem Wert von 3.5 Milliarden Franken (Rudin & Strub, 2014).
Jedoch erhalten Pflegende Angehörige häufig keine Bezahlung und ihr Engagement bleibt gesellschaftlich und gesundheitsökonomisch weitgehend ungeachtet. Sie nehmen Lohneinbussen und Einbussungen im Rentenalter in Kauf (Stutz, 2020).
Seit dem Bundesgerichtsurteil von 2019 ist es so, dass Pflegende Angehörige für Leistungen der Grundpflege von den Krankenversicherungen bezahlt werden können. Ohne, dass sie eine Ausbildung im Bereich Pflege absolviert haben. Dies jedoch nur durch eine Anstellung bei einem Spitex Leistungserbringer.
Das hat den Markt wach gerüttelt. Denn seither gibt es unzählige Organisationen, deren eine Zweck es ist, Pflegende Angehörige anzustellen.
Die Pflegenden Angehörigen erhalten einen Vertrag bei der Organisation. Lohn und Umfang bestimmt die Organisation. Abgegolten werden die Leistungen, die als grundpflegerische Leistungen definiert werden, wie beispielsweise Unterstützung bei der Körperpflege, der Mobilisation oder dem Essen eingeben.
In der Regel liegt der Lohn bei CHF 33.50 pro Stunde. Dies entspricht ungefähr dem Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung.
Der Spitex Leistungserbringer verdient bei Normkosten für Leistungen der Grundpflege im Kanton Zürich CHF 87.75 pro Stunde. Somit verdient der Spitex Leistungserbringer rund CHF 55 pro verrechneter Leistungsstunde von Pflegenden Angehörigen mit (Nonnenmacher, Pelzelmayer & Bischofberger, 2021). Selbstverständlich ist dies auch beim Einsatz von ausgebildetem Personal der Fall, dass die Organisation optimalerweise mehr verdient, als die Lohnkosten betragen, jedoch hat dies bei Pflegenden Angehörigen einen etwas bitteren Nachgeschmack.
Es besteht die Gefahr einer Ausbeutung, denn nicht wenige Herausforderungen stellen sich den Spitex Leistungsebringer entgegen.
Doch erst zu den Chancen und dem Mehrwert, den die Bezahlung der Pflegenden Angehörigen zu Gute kommt.
Chancen für pflegende Angehörige
Pflegende Angehörige profitieren bei einer Anstellung von der Einbettung in ein fachliches Team, von einer sozialen Absicherung, höheren Chancen auf dem Arbeitsmarkt und einer Anrechnung der Leistungen auf dem Bildungsweg in der Pflege. Wenn die zu pflegende Person die Unterstützung der Pflegenden Angehörigen nicht mehr benötigt, kann die Pflegende Angehörige weiter in der Pflege arbeiten. Diese Möglichkeit mehr Pflegefachpersonen, wenn auch mehrheitlich als Assistenzpersonal für die Pflege zu gewinnen ist wichtig.
Chancen für Spitexorganisationen
Viele Spitex Leistungserbringer verzeichnen seit 2019 einen starken Wachstum durch die Anstellung der Pflegenden Angehörigen. Zudem kann eine Zusammenarbeit und Einbindung der Pflegenden Angehörigen eine Unterstützung sein, gemeinsam in der individuellen Pflegesituation an einem Strang zu ziehen. Sowie gemeinsam voneinander zu lernen.
Herausforderungen
Pflegende Angehörige pflegen teilweise seit Jahrzehnten ihre Angehörige Person. Fachliche Inputs werden da nicht immer gerne angenommen. Zudem ist das Loslassen und Abgeben ein schwieriges Thema.
Die Pflegenden Angehörigen müssen arbeitsrechtlich Pausen und Ruhezeiten einplanen. Das ist nicht immer einfach, denn sie wollen vielleicht nicht loslassen. Jedoch kann dies längerfristig zu gesundheitlichen Schäden führen und zu einer Überlastungssituation.
Dass dann Spitex Leistungserbringer dies umgehen, indem sie die Pflegenden Angehörigen dazu anweisen an ihrem Ruhetag keine Pflegeberichte einzuschreiben, sie jedoch dennoch vor Ort sind und die Pflege übernehmen, empfinde ich als schwierig.
Es benötigt Kontrollen und nicht nur reine Kontrollen anhand der Dokumentation.
Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass die Krankenversicherungen nur eine Pflegende Angehörige Person bezahlen, auch wenn die ganze Familie sich die Leistungen untereinander aufteilen. Das erhöht das Risiko einer Überlastung und zudem ist der Stundenlohn dann über alle geleisteten Stunden gerechnet lächerlich.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass wenn Pflegende Angehörige sich anstellen lassen, sie unter Umständen nicht mehr alle Leistungen, die sie bisher durchgeführt haben, weiter durchführen dürfen. Da sie nur grundpflegerische Verrichtungen abrechnen dürfen, fällt das regelmässige Blutdruck messen und Insulin verabreichen dann weg. Dies führt verständlicherweise zu Unverständnis. Zudem besteht dann eine gewisse Abhängigkeit von der Spitex.
Nicht zuletzt ist es für die Spitex Leistungserbringer eine grosse Herausforderung die Finanzierung sicherzustellen. Denn es ist ein hart umkämpftes Pflaster. Die Krankenversicherungen sind nicht glücklich, diese Leistungen bezahlen zu müssen. Daher ist es fast unumgänglich, dass die Organisationen einen Juristen im Team haben.
Ehefrau (86) lässt sich von Spitex anstellen, weil sie ihren Ehemann wöchentlich beim Duschen unterstützt.
Qualitätsvorgaben
In den neuen Tarifversträgen zwischen den Krankenversicherungs- und den Spitexverbänden, die seit Mai respektive Juni 2023 gelten, ist nun ein Anhang zu Pflegenden Angehörigen mit drin.
Er fordert, dass die Pflegenden Angehörigen von der fallführenden Pflegefachperson umfassend instruiert werden und dass Abweichungen sofort zu melden sind. Zudem müssen die Leistungen regelmässig überwacht und gegebenenfalls weiter instruiert werden. Ein Telefonkontakt alle zwei Wochen und ein monatlicher Besuch vor Ort sind vorgeschrieben.
Zudem wird gefordert, dass innerhalb des ersten Jahres nach Anstellung die pflegenden Angehörigen einen Kurs zur Pflegehilfe (120h) zu absolvieren. Ob das angesichts der Belastungssituation, in der sich Pflegende Angehörige häufig befinden realistisch ist, bleibt offen.
Ethische Standpunkte
Folgendes sollte beachtet werden, bevor Pflegende Angehörige angestellt werden:
- ist die Person noch im erwerbstätigen Alter?
- kann eine Aus- und Weiterbildung gewährleistet werden?
- kann die Spitexorganisation die Sorgfaltspflicht gewährleisten?
Pflegenden Angehörigen werden auch künftig einen wertvollen und relevanten Teil der Pflege in der Schweiz übernehmen.
Nur fair, wenn sie für ihr Engagement bezahlt werden, aber zu fairen Bedingungen.
In der weiterführenden Literatur sind Checklisten zur Anstellung und detaillierte Informationen zum Thema zum nachlesen.
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Jennifer Kummli
Pflegeexpertin APN/ MScN, Geschäftsführerin Better Nursing
Quellen und weiterführende Literatur
Administrativverträge vom 1.5.2023 resp. 1.6.2023. Heruntergeladen von Spitex Schweiz - Grundlagen - Verträge - Administrativverträge
Bundesamt für Gesundheit (2020). Synthesebericht Förderprogramm «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017–2020».
Bundesgerichtsurteil 2019. Bundesgericht präzisiert Abgeltung bei Pflege durch Angehörige https://jusletter.weblaw.ch/juslissues/2019/979/bundesgericht-prazis_1944dbeaa6.html
Bundesgerichtsurteil von 2006. https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F21-06-2006-K_156-2004&lang=de&type=show_document&zoom=YES&
Nonnenmacher, L., Pelzelmayer, K. & Bischofberger, I. (2021). MANUAL «Pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen». Heruntergeladen von https://www.spitexzh.ch/files/XCSN4K3/manual_pflegende_angehrige_bei_der_spitex_anstellen_final2_kopie1.pdf
Nonnenmacher, L., Pelzelmayer, K., Bischofberger, I. & Schellenberg, E. Policy Brief «Pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen». Heruntergeladen von https://www.age-stiftung.ch/fileadmin/user_upload/Projekte/2018/059/Careum_Policy_Brief.pdf
Rudin, M & Strub, S (2014). Zeitlicher Umfang und monetäre Bewertung der Pflege und Betreuung durch Angehörige. Heruntergeladen von https://www.buerobass.ch/fileadmin/Files/2014/SpitexVerband_2014_MonetaereBewertung_pflegendeAngehoerige_d.pdf
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